Vanessa Licht

Rasende Reporterin

Wiener Anwälte: „Erwarten mehr Scheidungen ab Herbst“

14.870 Paare ließen sich 2020 scheiden, knapp 9 % weniger als im Vorjahr. Die Anzahl der Fälle schwankte dabei stark im Laufe der Pandemie. Scheidungsanwälte rechnen nun damit, dass es ab Herbst zusammen mit der erwarteten Insolvenzwelle in Österreich auch zu mehr Scheidungen kommen wird. Denn eine wirtschaftliche Schieflage führt zu erheblichen Spannungen in Beziehungen.

(c) Pixabay

„Die Pandemiezeit ist aus unserer Perspektive extrem wechselhaft verlaufen. 2020 war ein Ausnahmejahr“, schildert Scheidungsexperte Clemens Gärner, Partner der Kanzlei Gärner Perl Rechtsanwälte. „Corona hat zunächst in der ersten Jahreshälfte einen großen Impact gehabt. Wir haben in unserer Kanzlei einen Anstieg von 30 Prozent an Scheidungsfällen registriert! Danach ließ der Ansturm fast vollständig nach. Jetzt merken wir, dass mit dem voraussichtlichen Ende der Pandemie die KlientInnen-Anfragen immer zahlreicher werden“, so Gärner. Gemeinsam mit Kanzleipartnerin Susanna Perl-Lippitsch begleitet er – in normalen Zeiten – bis zu 200 Scheidungsfälle pro Jahr.

„Die wenigsten Ehen halten eine Insolvenz aus“
Derzeit ist alles anders. „Man merkt, dass viele derzeit den Atem anhalten, bis sie wissen, wie es wirtschaftlich weitergeht“, so der Experte. „Wir gehen davon aus, dass es spätestens im Herbst, wenn in Österreich die Pleitewelle erwartet wird, zu einer parallelen Scheidungswelle kommen wird. Denn die wenigsten Ehen halten eine Insolvenz aus.“

Das liegt unter anderem daran, dass Menschen erst dann ihre finanzielle Notlage eingestehen, wenn sich diese nicht mehr verbergen lässt. „Ich erlebe immer wieder, dass Ehepartner aus allen Wolken fallen und sich zutiefst hintergangen fühlen. Für sie ist eine verheimlichte Pleite genauso schlimm wie eine Affäre“, schildert der Anwalt. Zudem verpasst man mit einer solchen Kopf-in-den-Sand-Taktik, rechtzeitig Maßnahmen zu setzen, die die Familie im Zuge der Insolvenz schützen – z.B. rechtzeitig vorzusorgen, dass die Ehewohnung nicht Teil einer Konkursmasse wird. „Es gibt viel, dass rechtlich getan werden kann, um den privaten Schaden zu reduzieren. Geschieht dies nicht, wird das oft zum Streitpunkt.“

Ein weiterer Grund ist freilich, dass Menschen, die vor dem finanziellen Aus stehen, unter unglaublichem Druck leiden. Gärner: „Oft agieren sie ihren Liebsten gegenüber bereits seit längerer Zeit abweisend, aggressiv oder lieblos.“ Bestehende Konflikte potenzieren sich.

Ruhe vor dem Sturm
Derzeit herrscht für viele Paare die Ruhe vor dem Sturm. Gerade das Unausgesprochene wird zur tickenden Zeitbombe. „Die Pandemie hat auf das Familienleben erheblichen Druck ausgeübt. Auf sie folgt die wirtschaftliche Rezession, die abermals Familien auf die Probe stellen wird. Wir können Paaren nur raten, miteinander authentisch über ihre Bedürfnisse zu sprechen. So könnte man eine spätere Ehekrise vielleicht vermeiden“, sagt Gärner.

Über Gärner | Perl Rechtsanwälte
Die Wirtschafts- und Familienrechts-Kanzlei mit Sitz in der Wiener Innenstadt wurde 2013 durch Dr. Clemens Gärner und Mag. Susanna Perl-Lippitsch gegründet. 2020 wurde eine Sprechstelle in Graz eröffnet. Dr. Gärner und Mag. Perl-Lippitsch gelten als Top- Spezialisten in den Bereichen Familienrecht und Insolvenzrecht. Durch ihre Zusatzkompetenzen im Immobilien-, Arbeits- und Gesellschaftsrecht sind Gärner und Perl gerade bei hochkomplexen Verfahren die erste Adresse.

Juni 2021, Vanessa Licht

Kommentar verfassen